Page 17 - Sportjournal 09-2021
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Team Tokio
„Ich habe schon gemerkt, dass der ganz gut wusste die Athletin optimal zu nutzen. „Der Trai-
war“, erinnert sich Kristin Pudenz an jenen Wurf, ner (Jörg Schulte, Anm.d.Red.) war dabei die trei-
der ihr Sportlerleben verändern und einen Traum bende Kraft. Nach meiner Corona-Infektion
in Erfüllung gehen ließ. Das aber wusste sie im konnte ich sehr gut in Potsdam trainieren.“
Moment des Wurfs nicht – sie wusste nicht ein-
mal, wie weit er wirklich war. Letztlich landete ihr Und endlich auch die guten Trainingsleistungen
Diskus bei 66,86 Meter, neue persönliche Best- im Wettkampf umsetzen. „Da hat sich mein Men-
leistung. Und nicht nur das: Es war ihr fünfter Ver- taltraining ausgezahlt, dass ich seit Jahren ma-
such im olympischen Finale und er brachte ihr – che“, sagt Pudenz über die entscheidenden Se-
für viele überraschend – Silber. Überraschend kunden im olympischen Ring, als die Bedingun-
auch für sie. „Als es feststand, dachte ich nur: gen nach der Regenpause für alle schwierig wa-
‚Das kann nicht wahr sein‘“, lässt sie einen Blick ren – sowohl physisch als auch psychisch. „Mein
in ihre damaligen Gedanken zu. Gedanken, die Vorteil war, dass ich schon vor der Pause einen
ihr die am Fernsehen mitfiebernden Branden- guten Wurf hatte.“ Und dann kam eben jener fün-
burger Sportfans kurz nach dem Wurf durchaus fe Versuch, der alles noch einmal toppte – und
im Gesicht ablesen konnten. Dieser Moment, in die Konkurrenz im Olympia-Finale schockte.
dem das freudestrahlende, überraschte, ungläu-
big schauende Gesicht der Potsdamerin in Groß- Jenem größten aller Wettkämpfe, den „ich jahre-
aufnahme über deutsche TV-Schirme flimmern- lang im Fernsehen angeschaut und Leute und
de, war sicher einer der emotionalen Höhepunk- Leistungen gesehen habe, wo ich nur gedacht
te dieser Spiele. Und diese ehrliche Unbeküm- habe: ‚Wow.‘ Und jetzt gehöre ich dazu. Das
mertheit gepaart mit dem Unglauben an den ei- macht mich super stolz.“ Zumal auch viel Befrie-
genen Erfolg blieb noch eine ganze Weile beste- digung damit einhergeht. „Ich wusste, dass mehr
hen, wie Kristin Pudenz zugibt: „Selbst bei der in mir steckt, als ich bis dahin gezeigt hatte.“
Siegerehrung war es noch irgendwie verrückt.“
Dabei hatte der Wettkampf in Tokio eigentlich Jetzt weiß es die ganze Welt – und die gestiegene
auch schon vielversprechend für die 28-Jährige Aufmerksamkeit erreicht Kristin Pudenz auch im
begonnen. „Nach der Quali habe ich schon mal Alltag im heimischen Potsdam. „Jetzt werde ich
darüber nachgedacht, dass es, wenn alles richtig schon mal auf der Straße erkannt“, berichtet sie
passt, vielleicht für die Bronzemedaille reicht.“ und lächelt: „Das ist schon schön“.
Schließlich reichte es aber sogar für Silber. „Da-
„SELBST BEI DER zwar seit dem Wurf einige Wochen vergangen –
mit hätte ich nie gerechnet“, so Pudenz. Schön ist und bleibt auch die Erinnerung. So sind
Dass es aber doch dazu kam, hatte auch mit Co- aber wohl kaum ein Tag, an dem die 28-Jährige
rona zu tun – und dem speziellen Umgang der SIEGEREHRUNG WAR diesen Erfolg nicht vor ihren inneren und auch
Potsdamerin mit der schwierigen Vorbereitung ihren realen Augen hat Revue passieren lassen.
auf diese besonderen Spiele. „Ich hatte mich mit „Ich glaube, ich habe mir den Wettkampf jeden
Corona angesteckt. Zum Glück aber habe ich al- ES NOCH IRGENDWIE Tag angeschaut“, sagt die sympathische Sportle-
les gut weggesteckt und es hatte keine Auswir- rin vom SC Potsdam beim Olympia-Empfang des
kungen.“ Zumindest keine negativen. Die Ver- Landessportbundes und lacht: „Und obwohl ich
schiebung der Spiele um ein Jahr sieht sie näm- VERRÜCKT“ weiß, was kommt, bin ich immer wieder aufge-
lich als Vorteil: „Ich glaube, wenn die Spiele 2020 regt und bekomme Gänsehaut und Tränen in
gewesen wären, hätte ich diese Leistung nicht den Augen.“
abrufen können.“ Denn das zusätzliche Jahr
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