Page 16 - Sportjournal 09-2021
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Team Tokio





          „Ich habe schon gemerkt, dass der ganz gut                                                                                                                                   wusste die Athletin optimal zu nutzen. „Der Trai-
          war“, erinnert sich Kristin Pudenz an jenen Wurf,                                                                                                                            ner (Jörg Schulte, Anm.d.Red.) war dabei die trei-
          der ihr Sportlerleben verändern und einen Traum                                                                                                                              bende Kraft. Nach meiner Corona-Infektion
          in Erfüllung gehen ließ. Das aber wusste sie im                                                                                                                              konnte ich sehr gut in Potsdam trainieren.“
          Moment des Wurfs nicht – sie wusste nicht ein-
          mal, wie weit er wirklich war. Letztlich landete ihr                                                                                                                         Und endlich auch die guten Trainingsleistungen
          Diskus bei 66,86 Meter, neue persönliche Best-                                                                                                                               im Wettkampf umsetzen. „Da hat sich mein Men-
          leistung. Und nicht nur das: Es war ihr fünfter Ver-                                                                                                                         taltraining ausgezahlt, dass ich seit Jahren ma-
          such im olympischen Finale und er brachte ihr –                                                                                                                              che“, sagt Pudenz über die entscheidenden Se-
          für viele überraschend – Silber. Überraschend                                                                                                                                kunden im olympischen Ring, als die Bedingun-
          auch für sie. „Als es feststand, dachte ich nur:                                                                                                                             gen nach der Regenpause für alle schwierig wa-
          ‚Das kann nicht wahr sein‘“, lässt sie einen Blick                                                                                                                           ren – sowohl physisch als auch psychisch. „Mein
          in ihre damaligen Gedanken zu. Gedanken, die                                                                                                                                 Vorteil war, dass ich schon vor der Pause einen
          ihr die am Fernsehen mitfiebernden Branden-                                                                                                                                  guten Wurf hatte.“ Und dann kam eben jener fün-
          burger Sportfans kurz nach dem Wurf durchaus                                                                                                                                 fe Versuch, der alles noch einmal toppte – und
          im Gesicht ablesen konnten. Dieser Moment, in                                                                                                                                die Konkurrenz im Olympia-Finale schockte.
          dem das freudestrahlende, überraschte, ungläu-
          big schauende Gesicht der Potsdamerin in Groß-                                                                                                                               Jenem größten aller Wettkämpfe, den „ich jahre-
          aufnahme über deutsche TV-Schirme flimmern-                                                                                                                                  lang im Fernsehen angeschaut und Leute und
          de, war sicher einer der emotionalen Höhepunk-                                                                                                                               Leistungen gesehen habe, wo ich nur gedacht
          te dieser Spiele. Und diese ehrliche Unbeküm-                                                                                                                                habe: ‚Wow.‘ Und jetzt gehöre ich dazu. Das
          mertheit gepaart mit dem Unglauben an den ei-                                                                                                                                macht mich super stolz.“ Zumal auch viel Befrie-
          genen Erfolg blieb noch eine ganze Weile beste-                                                                                                                              digung damit einhergeht. „Ich wusste, dass mehr
          hen, wie Kristin Pudenz zugibt: „Selbst bei der                                                                                                                              in mir steckt, als ich bis dahin gezeigt hatte.“
          Siegerehrung war es noch irgendwie verrückt.“
          Dabei hatte der Wettkampf in Tokio eigentlich                                                                                                                                Jetzt weiß es die ganze Welt – und die gestiegene
          auch schon vielversprechend für die 28-Jährige                                                                                                                               Aufmerksamkeit erreicht Kristin Pudenz auch im
          begonnen. „Nach der Quali habe ich schon mal                                                                                                                                 Alltag im heimischen Potsdam. „Jetzt werde ich
          darüber nachgedacht, dass es, wenn alles richtig                                                                                                                             schon mal auf der Straße erkannt“, berichtet sie
          passt, vielleicht für die Bronzemedaille reicht.“                                                                                                                            und lächelt: „Das ist schon schön“.
          Schließlich reichte es aber sogar für Silber. „Da-
                                                                     „SELBST BEI DER                                                                                                   zwar seit dem Wurf einige Wochen vergangen –
          mit hätte ich nie gerechnet“, so Pudenz.                                                                                                                                     Schön ist und bleibt auch die Erinnerung. So sind


          Dass es aber doch dazu kam, hatte auch mit Co-                                                                                                                               aber wohl kaum ein Tag, an dem die 28-Jährige
          rona zu tun – und dem speziellen Umgang der                SIEGEREHRUNG WAR                                                                                                  diesen Erfolg nicht vor ihren inneren und auch
          Potsdamerin mit der schwierigen Vorbereitung                                                                                                                                 ihren realen Augen hat Revue passieren lassen.
          auf diese besonderen Spiele. „Ich hatte mich mit                                                                                                                             „Ich glaube, ich habe mir den Wettkampf jeden
          Corona angesteckt. Zum Glück aber habe ich al-             ES NOCH IRGENDWIE                                                                                                 Tag angeschaut“, sagt die sympathische Sportle-
          les gut weggesteckt und es hatte keine Auswir-                                                                                                                               rin vom SC Potsdam beim Olympia-Empfang des
          kungen.“ Zumindest keine negativen. Die Ver-                                                                                                                                 Landessportbundes und lacht: „Und obwohl ich
          schiebung der Spiele um ein Jahr sieht sie näm-            VERRÜCKT“                                                                                                         weiß, was kommt, bin ich immer wieder aufge-
          lich als Vorteil: „Ich glaube, wenn die Spiele 2020                                                                                                                          regt und bekomme Gänsehaut und Tränen in
          gewesen wären, hätte ich diese Leistung nicht                                                                                                                                den Augen.“
          abrufen können.“ Denn das zusätzliche Jahr



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