Page 15 - Sportjournal 06-2021
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Team Tokio





                                                                        als die Kita nicht offen war. Da hat sich
 DER                                                                    dann schon vor den Trainingslagern die
                                                                        Frage gestellt: ‚Kann ich weg, ohne dass
                                                                        es meiner Familie schlechter geht?‘“ Er
 ROUTINIER                                                              konnte - dank des Zusammenhalts in der
                                                                        Familie samt Schwester und Großeltern.
                                                                        „Das hat mich sehr beruhigt.“


                                                                        Mit dieser Ruhe und dem Rückhalt im
 Ronald Rauhe fährt zu                                                  Team umschiffte der erfolgreiche Kanu-
                                                                        Vierer alle Klippen und blieb auf Erfolgs-
 seinen sechsten Spielen.                                               kurs. Und den wollen die Vier auch nicht

 Und der Hunger auf eine                                                mehr verlassen. „Wir wollen Gold holen“,
                                                                        geht Rauhe in die Offensive. Und diese
 Medaille ist weiter groß.                                              Zielsetzung ist keine Phantasterei und

                                                                        noch viel weniger Überheblichkeit. Die-
 Er ist dabei – natürlich; schon wieder.                                ses Ziel fusst vielmehr auf einem Selbst-
 Doch für Ronald Rauhe gibt es kein „na-                                vertrauen, dass die Crew sich erkämpft
 türlich“, für ihn ist der Start in Tokio im                            hat. „Diesen Anspruch haben wir uns er-
 K4 gemeinsam mit Vereinskollege Max                                    arbeitet“, sagt denn auch Rauhe mit
 Lemke, Max Rendschmidt (Essen) und                                     Blick auf die drei WM-Titel, die das Quar-
 Tom Liebscher (Dresden) alles andere als                               tett gemeinsam eingefahren hat. „Das ist
 Routine. Denn obwohl sich der Vorzeige-                                ein Superboot. Wir sind der Top-Favorit.“
 Kanute vom KC Potsdam bereits zum
 sechsten Mal für Olympische Spiele qua-                                Dieser Rolle wollen sie nun gerecht wer-
 lifiziert hat, kann von Alltagsgeschäft kei-                           den, zumal es für Rauhe auch der krö-
 ne Rede sein – schon gar nicht in Pande-                               nende Abschluss seiner Karriere werden
 miezeiten. „Die Vorfreude auf diese Spie-                              soll. Einer mit Edelmetall gepflasterten
 le ist in vielfacher Art und Weise beson-                              Karriere, die sich nun dem Ende zuneigt
 ders“, sagt der Falkenseer. Dafür ist der                              – was ihn alles andere als kalt lässt. „Es
 39-Jährige zu sehr mit dem Herzen da-  Zeit der Zweifel, ob er noch einmal wei-  der musste Kompromisse machen, in al-  kommt jetzt schon mal vor, dass ich im
 bei, dafür ist in den vergangenen Mona-  termachen soll und vor allem kann, kurz  len Bevölkerungsschichten“, geht er mit  Training oder Wettkampf daran denken
 ten zu viel passiert. „Es war ein schwieri-  Revue passieren. Doch so schwer die  einem Blick, der über den Kanu-Rand  muss. Aber eigentlich habe ich das gut
 ges Jahr“, gibt Rauhe offen zu.  Entscheidungsfindung auch war, so erlö-  hinausgeht, sachlich mit der schwierigen  unter Kontrolle.“ Naja, mehr oder weni-
 send war ihr Ergebnis: Er kann! „Ich war  Vorbereitung um. „Wir hatten einige Hür-  ger. Bei den Finals in Duisburg im Juni,
 Denn eigentlich sollte 2020 nach den  sehr zufrieden danach.“  den zu überstehen, einige Steine aus  seinem letzten Auftritt dort, war es um
 Spielen in Tokio Schluss sein mit dieser  dem Weg zu schieben“, sagt er „Aber  die Fassung geschehen, rollten Tränen.
 großen Karriere. Doch Corona wollte es  Mit der Familie im Rücken und ange-  wenn man in allen Lebensbereichen po-  „Da hab ich gar nichts mehr unter Kon-
 anders. Und Ronald Rauhe wusste an-  spornt vom starken Zusammenhalt im  sitiv bleibt, fällt einem das Überwinden  trolle gehabt“, gibt er zu. „Aber“, fügt er
 fangs nicht, ob er es auch wollte. „Die  Team („Als Team haben wir sehr, sehr gut  einfacher.“ Und positiv blieb der Routini-  hinzu, „das bin ich halt. Ich habe immer
 Zeit nach der Absage der Spiele war sehr  agiert.“) machte der Olympiasieger von  er auch während der Lockdowns, die ihn  mit Leidenschaft meinen Sport betrie-
 schwer. Ich habe lange gebraucht, mir  2004 weiter. Und ließ sich dabei auch  sehr forderten. „Wir haben uns komplett  ben. Darauf basiert meine ganze Karrie-
 viele Gedanken gemacht und viel mit der  von den besonderen (Pandemie-)Um-  abgeschottet als Familie. Das war nicht  re.“ Und so soll sie auch enden – mit
 Familie darüber gesprochen“, lässt er die  ständen nicht aus der Ruhe bringen. „Je-  einfach. Besonders schwer aber war es,  Emotionen und am liebsten mit Gold.



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