Page 14 - Sportjournal 06-2021
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Team Tokio
als die Kita nicht offen war. Da hat sich
DER dann schon vor den Trainingslagern die
Frage gestellt: ‚Kann ich weg, ohne dass
es meiner Familie schlechter geht?‘“ Er
ROUTINIER konnte - dank des Zusammenhalts in der
Familie samt Schwester und Großeltern.
„Das hat mich sehr beruhigt.“
Mit dieser Ruhe und dem Rückhalt im
Ronald Rauhe fährt zu Team umschiffte der erfolgreiche Kanu-
Vierer alle Klippen und blieb auf Erfolgs-
seinen sechsten Spielen. kurs. Und den wollen die Vier auch nicht
Und der Hunger auf eine mehr verlassen. „Wir wollen Gold holen“,
geht Rauhe in die Offensive. Und diese
Medaille ist weiter groß. Zielsetzung ist keine Phantasterei und
noch viel weniger Überheblichkeit. Die-
Er ist dabei – natürlich; schon wieder. ses Ziel fusst vielmehr auf einem Selbst-
Doch für Ronald Rauhe gibt es kein „na- vertrauen, dass die Crew sich erkämpft
türlich“, für ihn ist der Start in Tokio im hat. „Diesen Anspruch haben wir uns er-
K4 gemeinsam mit Vereinskollege Max arbeitet“, sagt denn auch Rauhe mit
Lemke, Max Rendschmidt (Essen) und Blick auf die drei WM-Titel, die das Quar-
Tom Liebscher (Dresden) alles andere als tett gemeinsam eingefahren hat. „Das ist
Routine. Denn obwohl sich der Vorzeige- ein Superboot. Wir sind der Top-Favorit.“
Kanute vom KC Potsdam bereits zum
sechsten Mal für Olympische Spiele qua- Dieser Rolle wollen sie nun gerecht wer-
lifiziert hat, kann von Alltagsgeschäft kei- den, zumal es für Rauhe auch der krö-
ne Rede sein – schon gar nicht in Pande- nende Abschluss seiner Karriere werden
miezeiten. „Die Vorfreude auf diese Spie- soll. Einer mit Edelmetall gepflasterten
le ist in vielfacher Art und Weise beson- Karriere, die sich nun dem Ende zuneigt
ders“, sagt der Falkenseer. Dafür ist der – was ihn alles andere als kalt lässt. „Es
39-Jährige zu sehr mit dem Herzen da- Zeit der Zweifel, ob er noch einmal wei- der musste Kompromisse machen, in al- kommt jetzt schon mal vor, dass ich im
bei, dafür ist in den vergangenen Mona- termachen soll und vor allem kann, kurz len Bevölkerungsschichten“, geht er mit Training oder Wettkampf daran denken
ten zu viel passiert. „Es war ein schwieri- Revue passieren. Doch so schwer die einem Blick, der über den Kanu-Rand muss. Aber eigentlich habe ich das gut
ges Jahr“, gibt Rauhe offen zu. Entscheidungsfindung auch war, so erlö- hinausgeht, sachlich mit der schwierigen unter Kontrolle.“ Naja, mehr oder weni-
send war ihr Ergebnis: Er kann! „Ich war Vorbereitung um. „Wir hatten einige Hür- ger. Bei den Finals in Duisburg im Juni,
Denn eigentlich sollte 2020 nach den sehr zufrieden danach.“ den zu überstehen, einige Steine aus seinem letzten Auftritt dort, war es um
Spielen in Tokio Schluss sein mit dieser dem Weg zu schieben“, sagt er „Aber die Fassung geschehen, rollten Tränen.
großen Karriere. Doch Corona wollte es Mit der Familie im Rücken und ange- wenn man in allen Lebensbereichen po- „Da hab ich gar nichts mehr unter Kon-
anders. Und Ronald Rauhe wusste an- spornt vom starken Zusammenhalt im sitiv bleibt, fällt einem das Überwinden trolle gehabt“, gibt er zu. „Aber“, fügt er
fangs nicht, ob er es auch wollte. „Die Team („Als Team haben wir sehr, sehr gut einfacher.“ Und positiv blieb der Routini- hinzu, „das bin ich halt. Ich habe immer
Zeit nach der Absage der Spiele war sehr agiert.“) machte der Olympiasieger von er auch während der Lockdowns, die ihn mit Leidenschaft meinen Sport betrie-
schwer. Ich habe lange gebraucht, mir 2004 weiter. Und ließ sich dabei auch sehr forderten. „Wir haben uns komplett ben. Darauf basiert meine ganze Karrie-
viele Gedanken gemacht und viel mit der von den besonderen (Pandemie-)Um- abgeschottet als Familie. Das war nicht re.“ Und so soll sie auch enden – mit
Familie darüber gesprochen“, lässt er die ständen nicht aus der Ruhe bringen. „Je- einfach. Besonders schwer aber war es, Emotionen und am liebsten mit Gold.
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