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Team Tokio





                                                                                                                                                                                               als die Kita nicht offen war. Da hat sich
          DER                                                                                                                                                                                  dann schon vor den Trainingslagern die
                                                                                                                                                                                               Frage gestellt: ‚Kann ich weg, ohne dass
                                                                                                                                                                                               es meiner Familie schlechter geht?‘“ Er
          ROUTINIER                                                                                                                                                                            konnte - dank des Zusammenhalts in der
                                                                                                                                                                                               Familie samt Schwester und Großeltern.
                                                                                                                                                                                               „Das hat mich sehr beruhigt.“


                                                                                                                                                                                               Mit dieser Ruhe und dem Rückhalt im
          Ronald Rauhe fährt zu                                                                                                                                                                Team umschiffte der erfolgreiche Kanu-
                                                                                                                                                                                               Vierer alle Klippen und blieb auf Erfolgs-
          seinen sechsten Spielen.                                                                                                                                                             kurs. Und den wollen die Vier auch nicht

          Und der Hunger auf eine                                                                                                                                                              mehr verlassen. „Wir wollen Gold holen“,
                                                                                                                                                                                               geht Rauhe in die Offensive. Und diese
          Medaille ist weiter groß.                                                                                                                                                            Zielsetzung ist keine Phantasterei und

                                                                                                                                                                                               noch viel weniger Überheblichkeit. Die-
          Er ist dabei – natürlich; schon wieder.                                                                                                                                              ses Ziel fusst vielmehr auf einem Selbst-
          Doch für Ronald Rauhe gibt es kein „na-                                                                                                                                              vertrauen, dass die Crew sich erkämpft
          türlich“, für ihn ist der Start in Tokio im                                                                                                                                          hat. „Diesen Anspruch haben wir uns er-
          K4 gemeinsam mit Vereinskollege Max                                                                                                                                                  arbeitet“, sagt denn auch Rauhe mit
          Lemke, Max Rendschmidt (Essen) und                                                                                                                                                   Blick auf die drei WM-Titel, die das Quar-
          Tom Liebscher (Dresden) alles andere als                                                                                                                                             tett gemeinsam eingefahren hat. „Das ist
          Routine. Denn obwohl sich der Vorzeige-                                                                                                                                              ein Superboot. Wir sind der Top-Favorit.“
          Kanute vom KC Potsdam bereits zum
          sechsten Mal für Olympische Spiele qua-                                                                                                                                              Dieser Rolle wollen sie nun gerecht wer-
          lifiziert hat, kann von Alltagsgeschäft kei-                                                                                                                                         den, zumal es für Rauhe auch der krö-
          ne Rede sein – schon gar nicht in Pande-                                                                                                                                             nende Abschluss seiner Karriere werden
          miezeiten. „Die Vorfreude auf diese Spie-                                                                                                                                            soll. Einer mit Edelmetall gepflasterten
          le ist in vielfacher Art und Weise beson-                                                                                                                                            Karriere, die sich nun dem Ende zuneigt
          ders“, sagt der Falkenseer. Dafür ist der                                                                                                                                            – was ihn alles andere als kalt lässt. „Es
          39-Jährige zu sehr mit dem Herzen da-               Zeit der Zweifel, ob er noch einmal wei-                                    der musste Kompromisse machen, in al-                kommt jetzt schon mal vor, dass ich im
          bei, dafür ist in den vergangenen Mona-             termachen soll und vor allem kann, kurz                                     len Bevölkerungsschichten“, geht er mit              Training oder Wettkampf daran denken
          ten zu viel passiert. „Es war ein schwieri-         Revue passieren. Doch so schwer die                                         einem Blick, der über den Kanu-Rand                  muss. Aber eigentlich habe ich das gut
          ges Jahr“, gibt Rauhe offen zu.                     Entscheidungsfindung auch war, so erlö-                                     hinausgeht, sachlich mit der schwierigen             unter Kontrolle.“ Naja, mehr oder weni-
                                                              send war ihr Ergebnis: Er kann! „Ich war                                    Vorbereitung um. „Wir hatten einige Hür-             ger. Bei den Finals in Duisburg im Juni,
          Denn eigentlich sollte 2020 nach den                sehr zufrieden danach.“                                                     den zu überstehen, einige Steine aus                 seinem letzten Auftritt dort, war es um
          Spielen in Tokio Schluss sein mit dieser                                                                                        dem Weg zu schieben“, sagt er „Aber                  die Fassung geschehen, rollten Tränen.
          großen Karriere. Doch Corona wollte es              Mit der Familie im Rücken und ange-                                         wenn man in allen Lebensbereichen po-                „Da hab ich gar nichts mehr unter Kon-
          anders. Und Ronald Rauhe wusste an-                 spornt vom starken Zusammenhalt im                                          sitiv bleibt, fällt einem das Überwinden             trolle gehabt“, gibt er zu. „Aber“, fügt er
          fangs nicht, ob er es auch wollte. „Die             Team („Als Team haben wir sehr, sehr gut                                    einfacher.“ Und positiv blieb der Routini-           hinzu, „das bin ich halt. Ich habe immer
          Zeit nach der Absage der Spiele war sehr            agiert.“) machte der Olympiasieger von                                      er auch während der Lockdowns, die ihn               mit Leidenschaft meinen Sport betrie-
          schwer. Ich habe lange gebraucht, mir               2004 weiter. Und ließ sich dabei auch                                       sehr forderten. „Wir haben uns komplett              ben. Darauf basiert meine ganze Karrie-
          viele Gedanken gemacht und viel mit der             von den besonderen (Pandemie-)Um-                                           abgeschottet als Familie. Das war nicht              re.“ Und so soll sie auch enden – mit
          Familie darüber gesprochen“, lässt er die           ständen nicht aus der Ruhe bringen. „Je-                                    einfach. Besonders schwer aber war es,               Emotionen und am liebsten mit Gold.



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